Strapazierung des Beweises
Die Bank tat sich schwer. Weil sie die Unterlagen nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist vernichtet hatte, konnte nicht mehr eruiert werden, wer die nun zu Diskussionen Anlass gebenden Rückzüge getätigt hatte. Die Bank ging davon aus, dass damals abgeklärt worden war, ob die vorsprechende Person zu den Rückzügen berechtigt war. Sie war deshalb der Meinung, nicht zu einer nochmaligen Zahlung verpflichtet zu sein. In der Folge wurden die folgenden Überlegungen angestellt: Das Heft wurde 1983 von der Mutter des Kunden hinterlegt. Gemäss den damals gültigen Bestimmungen war die Mutter berechtigt, das Heft zu beziehen und über das Heftguthaben zu verfügen.
Somit musste davon ausgegangen werden, dass entweder die Mutter oder eine von ihr speziell bevollmächtigte Person die Rückzüge getätigt hatte. Die Mutter stellt diese Variante entschieden in Abrede und bestätigte dies auch unterschriftlich. Denkbar wäre weiter, dass es einem Dritten unter Vorlage von gefälschten Dokumenten gelungen war, die Rückzüge zu tätigen. Gegen diese Variante spricht aber, dass ein Betrüger danach trachtet, möglichst rasch und ohne Spuren zu hinterlassen, Geld zu beziehen. Der Kauf einer Kassenobligation widerspricht diesem Vorgehensszenario diametral. Als dritte Variante käme in Frage, dass der damals bereits volljährige Sohn bei der Bank vorgesprochen und behauptet hatte, das fragliche Sparheft laute auf ihn und er könne nun mit Erreichen der Volljährigkeit selbst darüber verfügen. Abgesehen davon, dass der Sohn dies kategorisch bestritt, wäre dann aber wohl anzunehmen, dass die Bank bei dieser Gelegenheit die Bankunterlagen an die neue Situation angepasst und zumindest ein Unterschriftenmuster des Kunden verlangt hätte. Dies hätte dann aber weiter wohl zur Folge gehabt, dass sich – als er kürzlich bei der Bank vorsprach – ein Unterschriftenmuster des Sohnes bei den Bankunterlagen hätte befinden müssen, was nachweislich nicht der Fall war. Somit konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Bank das Geld einer nicht berechtigten Person ausbezahlt hat.
Nun gilt es aber zu bedenken, dass die Frage, wer denn nun den Bezug getätigt und die Kassenobligation gekauft hatte, nur deshalb nicht eindeutig beantwortet werden konnte, weil die bei der Abwicklung zweifellos erstellten Belege in der Zwischenzeit vernichtet worden waren. Dass dies so ist, kann aber der Bank nicht zum Vorwurf gemacht werden, hat sie sich doch klar an die gesetzlichen Vorgaben gehalten. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass die vom Kunden als fehlerhaft bezeichneten Auszahlungen früher festgestellt worden wären, wenn sich dieser oder seine Mutter regelmässig bei der Bank gemeldet und den Kontakt nicht für mehr als 20 Jahre hätten abreissen lassen. Bei einer früheren Kontaktaufnahme wären die Unterlagen noch vorhanden gewesen, so dass der Sachverhalt wohl hätte geklärt werden können. Aus diesem Grunde wurde folgende Lösung skizziert und in der Folge auch in die Tat umgesetzt: Die Bank ersetzt dem Kunden den Wert der Kassenobligation plus Zinsen und die Hälfte des Barbezuges. Für den Fall, dass sich nachträglich jemand melden und das Original der Kassenobligation vorweisen sollte, wurde vereinbart, dass der Kunde den Schaden werde tragen müssen, wenn sich im dannzumal anzustrengenden Gerichtsverfahren zwischen Vorweiser und Kunde die von letzterem und seiner Mutter abgegebenen Bestätigungen, sie hätten weder die Rückzüge getätigt noch jemandem Vollmacht erteilt, als falsch herausstellen sollten. Wenn das Gerichtsverfahren aber zutage fördern sollte, dass der Dritte ohne Mitwirkung des Kunden oder seiner Mutter in den Besitz der Kassenobligation gelangt war, hätte die Bank die Kosten zu übernehmen, da der Schluss nahe liegen dürfte, dass der Bank bei der Aushändigung der Kassenobligation ein Fehler unterlaufen war.